Was tun eigentlich regionale Selbsthilfezentren? Und warum lohnt sich die Zusammenarbeit mit ihnen für Spitäler? Ursula Morel, Stellenleiterin der Selbsthilfe Aargau, gab uns im Interview einen Einblick.

"Ein Selbsthilfezentrum ist eine Beratungsstelle zum Thema Selbsthilfe und Selbsthilfegruppen."

Was ist ein regionales Selbsthilfezentrum, und wer arbeitet dort?

Ein Selbsthilfezentrum ist eine Beratungsstelle zum Thema Selbsthilfe und Selbsthilfegruppen. Wir vernetzen Personen, die am Austausch in einer Selbsthilfegruppe interessiert sind, mit den bestehenden Gruppen in der Region. Ausserdem unterstützen wir neue Gruppen im Aufbau. Das passiert auf Initiative einer selbst betroffenen Person hin, die zu einem bestehenden Thema eine Gruppe gründen will.

Die Mitarbeitenden im Selbsthilfezentrum kommen entweder aus der sozialen Arbeit, der Pflege, Erwachsenenbildung oder auch Psychologie.

"Selbsthilfegruppen haben oft ergänzende Wirkung."

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Selbsthilfe Aargau aus?

An einem typischen Arbeitstag beantworten wie viele Telefonanfragen, oder Anfragen per mail, von Betroffenen, Angehörigen und auch Fachpersonen. Das sind zum Beispiel Psychotherapeuten, Ärzte, sozialen Fachstellen oder Fachpersonen aus dem Gesundheitsmanagement. Diese gelangen unter anderem an uns, wenn ihre Klienten von einem Thema betroffen sind, das über die Kompetenzen der jeweiligen eigenen Fachstelle hinausgeht. Daran zeigt sich, dass Selbsthilfegruppen eben oft eine wichtige ergänzende Wirkung haben. Ausserdem führen wir hier bei uns Erstgespräche mit Initianten bzw. Initiantinnen von neuen Gruppen.

Weitere Arbeiten sind zum Beispiel das Organisieren von Gruppengründungstreffen, beispielsweise die Einladungen an die Personen verschicken, die schon auf der Warteliste sind. Bei einem Gründungstreffen dokumentieren wir, was die Gruppe miteinander abmacht, das ist meist eine Sammlung der Themen, die sie besprechen wollen, und Organisatorisches; das leiten wir dann an alle weiter. Ausserdem bereiten wir auch den Raum vor usw.

Dann arbeiten wir an Projekten, zum Beispiel eben den «Selbsthilfefreundlichen Spitälern», beispielsweise entwickeln wir die Massnahmenpläne weiter.

Und am Abend begleiten wir dann vielleicht eben noch eine Gruppe an ihrem Gründungstreffen.

"Es gibt viele Gelegenheiten zur Zusammenarbeit im Gesundheitswesen."

Welche Gelegenheiten zur Zusammenarbeit mit Stellen oder Personen aus dem Gesundheitswesen bieten sich in eurer Arbeit? Und warum ist gerade die Zusammenarbeit mit Spitälern so wichtig für euch?

Es gibt viele Gelegenheiten zur Zusammenarbeit im Gesundheitswesen.

Dazu gehört der direkte Austausch mit den Fachstellen, z.B. wenn wir uns mit dem Team einer Gesundheitsinstitution vernetzen, beispielsweise einer Suchtberatungsstelle. Dabei stellen wir uns gegenseitig unsere Arbeit vor. Mit dem Blauen Kreuz hatten wir vor kurzem einen solchen Austausch: Sie bieten fachgeleitete Gruppen an, wir autonome Selbsthilfegruppen, also ging es  darum, Schnittstellen zu finden, auszuloten welche ihrer Gruppen beispielsweise auch selbständig laufen könnten etc.

Manchmal werden wir auch eingeladen in Teams, so vor kurzem von der Spitex. Nächstens werden wir die Selbsthilfe Aargau an der Höheren Fachschule Gesundheit und Soziales vorstellen. Bei den Aktionstagen psychische Gesundheit organisieren wir ebenfalls Aktionen zusammen mit anderen Organisationen; zu Themen, wo es jeweils eine Fachorganisation gibt wie auch Selbsthilfegruppen. Betroffene wirken immer dabei mit. Beispielsweise haben wir mehrmals Film- und Theaterabende mit nachfolgender Podiumsdiskussion organisiert.

"Selbsthilfe ist immer ein relativ einfaches zusätzliches Angebot - unkompliziert und auch finanziell einfach zugänglich."

Die Zusammenarbeit mit Spitälern ist so wichtig, weil diese einen ganz wichtigen Zugang zu den potentiellen Teilnehmenden der Selbsthilfegruppen ermöglichen, und die Selbsthilfegruppen wiederum ein ergänzendes Angebot zur medizinischen Behandlung bieten.

Es gibt immer wieder auch neue Zusammenarbeitsmöglichkeiten: Vor kurzem meldete sich eine Fachfrau, die bei einem Spital für das Gesundheitsmanagement bei den Mitarbeitende zuständig ist. Sie war auf der Suche nach Angeboten für die von Long Covid betroffenen Mitarbeitenden. Sie hatte vor einiger Zeit unsere Präsentation gehört, sich daran erinnert und sich dann bei uns gemeldet. Selbsthilfe ist immer ein relativ einfaches zusätzliches Angebot - unkompliziert und auch finanziell einfach zugänglich.

"Wir vermitteln, dass es Sinn macht, die Patienten an ihrer Behandlung mitwirken zu lassen"

Bei der Umsetzung der «Selbsthilfefreundlichkeit» ist auch der Einbezug der Betroffenen auf Augenhöhe wichtig. Ihr habt darin ja bereits viel Erfahrung. Warum ist das wichtig, und wie kann es gut gelingen?

In der Selbsthilfe geht es um den Austausch von Gleichbetroffenen, die sich selber organisieren. Darum ist es wichtig, dass diese Betroffenen einbezogen werden. Sie bestimmen ja, was in der Gruppe dann läuft. Die Selbstorganisation der Gruppen ist zentral, weil die Personen manchmal fachlich oder medizinisch schon sehr gut versorgt sind; aber genau die Ebene der Gleich-Betroffenheit fehlt und auch die Alltagsperspektive, das Psychosoziale und die emotionalen Anteile, die eine schwierige Situation bzw. der Umgang mit einer Erkrankung mit sich bringen. Man findet ein Sich-Verstanden-Fühlen, das in dieser Tiefe nur möglich ist im Austausch mit Menschen, die das Gleiche oder Ähnliches erlebt haben.

Bei der Umsetzung im Spital kann dies schon auf Irritationen stossen. Man muss immer wieder erklären, was eine Selbsthilfegruppe ist, dass es eventuell auch nicht für alle Patienten zu jedem Zeitpunkt geeignet ist, aber sie trotzdem immer darauf hingewiesen werden sollen. Auch fachgeleitete Gruppen sind wichtig, es ist nicht eines weniger gut als das andere. Aber wir müssen oft vermitteln, dass wir das Vertrauen haben in die Selbsthilfegruppen, dass sie das können, weil sie Experten aus Erfahrung sind. Wir vermitteln, dass es Sinn macht, die Patienten an ihrer Behandlung mitwirken zu lassen – die Compliance ist viel besser, wenn jemand mitbestimmen kann, statt das Gefühl hat, dass über ihn bzw. sie bestimmt wird.

"Die Betroffenen zu involvieren gelingt, indem man vermittelt, dass ihre Anregungen wertvoll sind und ernst genommen werden."

Ich habe jetzt grad grosse Freude daran, dass sich ca. sechzehn Betroffene bei mir gemeldet haben auf meine Information hin über die neue Kooperation mit einem Spital. Davon werden jetzt zehn an einem Resonanzgruppen-Treffen teilnehmen und drei bis vier zusätzlich den Massnahmenkatalog kommentieren. Die Betroffenen so zu involvieren gelingt, indem man sie informiert und ermuntert, mitzumachen und ihnen vermittelt, dass ihre Anregungen wertvoll sind und ernst genommen werden. Denn das sind sie nämlich! Man kann viel am Schreibtisch ausarbeiten, aber wenn es dem «Praxischeck» im Dialog mit den Betroffenen nicht standhält, ist es nicht viel wert.

 

Ganz herzlichen Dank für diesen Einblick in eure Arbeit im Selbsthilfezentrum!

Telefonisches Interview durchgeführt am 31.5.22 durch Selbsthilfe Schweiz

Rubriken: | | | | |